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"Er ist jetzt auf der anderen Seite", schrieb der SPIEGEL in einem ebenso humor- wie respektvollen Nachruf, als Lou Ottens im März 2021 mit 94 Jahren verstarb. Der niederländische Ingenieur war kein Geringerer als der Erfinder der kompakten MC, der Musikkassette. Die hatte, wie Ältere wissen, zwei Seiten. Der SPIEGEL stellt auch fest, dass die Kulturtechnik, einen "Bandsalat" auf Kassetten mittels Bleistift-Rotation zu beheben, vom Aussterben bedroht sei. Ein Freund wies die Redaktion von geb.1960-69.de darauf hin: Neben dem Bandsalat gäbe es ja noch viele weitere Wörter, die für die Generation Smartphone nahezu unbekannt sind. Weil es sie wegen des technischen Fortschritts schlicht nicht mehr gibt. Zum Beispiel das "Vorspulen" und "Zurückspulen", um auf Tonbandgerät oder Musikkassette den gewünschten Titel zu hören.
Menschen aus den 60ern, 70ern und 80er wissen genau, wie es klingt, wenn der Kassettenrekorder spult. Sie kennen das unverwechselbare, leicht ratternde Surren der Wählscheibe am Telefon. Manche können an der Dauer sehr genau heraushören, welche Ziffer gerade gewählt wurde. Zudem lieben viele Retrofans die Geräusche, die in Kulthörspielen wie den "drei Fragezeichen" verewigt wurden.
Weiß die Generation Smartphone noch, was "Heiermann" und "Sendeschluss", gefolgt vom "Testbild", sind oder waren? Beziehungsweise muss sie das überhaupt wissen? Umgekehrt wissen ja viele der 1960-69 Geborenen auch eher, dass einige "Hasch" rauchten, aber dafür nicht, was der heutige "Hashtag" ist. Und dass ein "Linker Spinner" nichts mit verdrehten Verlinkungen zu tun hatte. Das 5 D-Mark-Stück, "Heiermann" genannt, lebt, ebenso wie die 10 Pfennig-Münze "Groschen", in Münzsammlungen weiter. Dass solche Wörter oder auch Retro-Redewendungen meist noch viel älter als die 1960 bis 1969 Geborenen sind, können Sprachforscher natürlich belegen. Was uns aber nicht bekannt ist, ob Linguisten, Germanisten oder Soziologen darauf eine Antwort haben:
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Ab wann ging es am Samstagabend nicht mehr in die "Disco", sondern in den "Club"?
War es in den 80ern, als das Partyvolk nicht mehr "auf Piste", sondern "feiern" ging? Nicht mehr "abhottete", "abtanzte", sondern "gönnte" (nicht "sich etwas gönnte"). Wann ging man joggen statt laufen, wann wurden Trimm-Dich und Zirkeltraining zum Workout? In welchem Jahr dachte die Mehrheit bei Manchester an die Fußballer von United oder City – und nicht an Raubtierkapitalismus oder die gute alte "Mann-Tschester"-Hose aus Cord? Beim heutigen Online-Shoppen erscheinen bei der Suche nach einer Manchesterhose fast nur Jogginghosen mit ManU- oder Citizen-Logo statt Cordhosen... Eine Wissenschaft für sich sind zudem die regionalen und szenetypischen Ausprägungen, die in den letzten fünf Jahrzehnten kamen und gingen. Von "Chef", "Meister", "Alter" und "Alter Schwede" bis "Bruder", "Bro", "Sis" und "Digger".
Wer früher als "Eiernacken" tituliert wurde (ich weiß bis heute nicht, was hinter dem Wort steckt), wurde später "Heimo", "Honk" oder "Vollpfosten" genannt. Und heute? Manche Vornamen wurden auch in einer oder zwei Dekaden zum Kraftwort, ohne dass sich die meist jungen Menschen Gedanken machten: "Du Horst". Das war zum Teil noch lustig. Mancher Großvater namens Horst, oft viel älteren Jahrgangs, konnte darüber "schmunzeln" (ebenfalls wieder eine Art Retrowort).
Dies betraf teilweile Homosexuelle ("Klaus-Bärbel", "Dett-leff") oder Menschen mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen ("Du Walter", leider abgeleitet aus der Mitte der 1970er populären TV-Serie "Unser Walter" über einen gleichnamigen Jungen mit Down-Syndrom, die natürlich gegen die verbreitete Diskriminierung wirken sollte). Früher war eben nicht alles besser: Das Verwenden dieser Namen in negativen Zusammenhängen verschwand glücklicherweise in der "Mottenkiste" (auch ein Retrowort) der Sprachgeschichte. Ebenso wie "Du Spacko" und hoffentlich auch das neuere "Du Opfer". Weitere üble Schimpfwörter hatten und haben einen sexistischen, rassistischen oder nationalistischen Hintergrund. Die wollen wir hier nicht erwähnen.
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Die betrafen selbstverständlich nicht die Marke des geliebten, eigenen ersten Autos, sondern die der anderen Cliquenmitglieder. Vielleicht sterben auch diese Sprachschöpfungen bald aus. Denn für viele junge Erwachsene nachfolgender Generationen ist das Auto weniger wichtig. Deshalb widmen wir den Auto-Nicknames und Sprüchen einen eigenen Beitrag.
Das ging vom "Popper" bis zum "Langhaarigen", wie friedensbewegte Studenten abschätzig von Spießbürgern genannt wurden, bis zum fast liebevoll gemeinten "Müsli". So sprach der Dorfjugendliche den alternativ geprägten Kumpel im Anti-AKW-Kultfilm "Am Tag als Bobby Ewing starb" an. Richtig retro sind auch einige Redewendungen, die heute meist nur noch die "älteren Semester" kennen. Oder die schlicht keiner mehr hören kann, weil "Spaßvögel" sie viel zu oft zum Besten gegeben haben. "Stück' mal 'n Rück."
"Sag' mal Bescheid." "Bescheid."
"Kannst Du mir die Uhrzeit sagen?" "Ja."
Aber Vorsicht! Manche totgeglaubten Wörter und Sprüche kommen aus oft unerklärlichen Gründen wieder. So wie fast alle Moden mehr oder weniger Wiedergänger sind oder neu interpretiert werden, obwohl seit Jahren "Funkstille" um sie herrschte. Uns fallen spontan das T-Shirt unterm schultergepolsterten Blazer, der Hippie-Style, Hawaii-Hemd, Schlaghosen oder Polohemden zur Karottenhose ein.
"Da wird ja der Hund in der Pfanne verrückt."
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