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Geräusche aus den 70ern und 80ern - Gerettet von Conserve the Sound

Das Klicken eines Diaprojektors, das Rattern der Telefonwählscheibe, das "Ritsch-Ratsch-Klick" der Pocketkameras, das Rauschen eines Retro-Föns…

Oder Küchengeräusche wie das Pfeifen von Omas Teekessel und ein leicht schepperndes Klacken des Toasters, welches meist durch den Duft des gerösteten Toastscheibe angekündigt wurde... Wer heute um die 50 oder älter ist, erinnert sich an diese Sounds aus Jugend oder Kindheit. Oder hat sie vergessen, erkennt sie aber sofort wieder, wenn sie erklingen. Aussterbende Geräusche für die Nachwelt erhalten, das ist das Ziel von Jan Derksen und Daniel Chun. Die Essener Kommunikationsexperten und Designer gründeten das Geräuscharchiv Conserve the sound. Das hörbare Sound-Museum ist kostenlos im Web zugänglich. Es wurde 2013 von der Film und Medien Stiftung NRW gefördert. Von Radio, TV und Zeitungen bis hin zu Blogs und Web-Magazinen berichten Medien regelmäßig über das Online-Museum.

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Rund 130 Geräusche haben die Soundprofis bereits aufgenommen

Sie wurden mit genauer Herkunfts- und Gerätebeschreibung online gestellt. Und es werden laufend mehr. Das beeindruckende Spektrum reicht vom Rattern einer historischen Frieso-Kaffeemühle über das Anlassen eines Citroën-"Entenmotors" bis zum Klacken alter Rechen- und Schreibmaschinen oder des „View Master“. Dessen kleine Dia-Ansichten faszinierten Kiinder der 70er Jahre als Vorläufer heutiger Virtual Reality-Brillen.

Conserve the Sound erhält diese kulturhistorischen Schätze für die Ohren der Nachwelt

Alltagstechnik in Haushalt, Freizeit und Beruf haben sich in jüngster Zeit rapide verändert. Deshalb sind in dem Online-Soundarchiv besonders viele Geräusche aus den letzten fünf Jahrzehnten zu hören. Die Redaktion von geb.1960-69.de hat auf Conserve the Sound vergessen geglaubte Geräusche aus ihrer Jugendzeit entdeckt und begeistert angehört. Nachdem die sentimentalen Erinnerungen abgeklungen waren, haben wir sogleich bei Gründer Jan Derksen nachgefragt. Hier folgt das Interview – mit einem überraschenden Geräuschfavoriten des Profis:

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geb.1960-69.de: Stammen alle Geräusche von Originalgeräten? Oder müsst Ihr manchmal auch mit Synthesizer oder Computer nachhelfen, weil keine funktionierenden Geräte mehr zu finden sind?

Jan Derksen: Alles wird original am Objekt aufgenommen. Alles ist echt, nichts wird künstlich generiert.

Welche Geräusche aus den 1970er und 1980er Jahren sind aus Eurer Sicht leider schon so gut wie ausgestorben?

Viele Geräusche von damals werden heute noch elektronisch simuliert, weil die ältere User den Sound noch aus ihren jungen Jahren kennen. Ein Beispiel ist das Klicken einer Kamera beim Fotografieren mit dem Smartphone. Nachfolgende Generationen kennen dieses Klicken nicht mehr. Es ist möglich, dass dann ganz andere, neue, abstrakte Geräusche für das Fotografieren etabliert werden. Dabei können (und sollten) aber auch die alten, kulturell überlieferten Geräusche bewusst erhalten werden. Sie können zum Beispiel das Bedürfnis moderner, nachwachsender Nutzer nach Tradition und „beseelten“ Produkten erfüllen.

Welche Geräusche sind noch im Umlauf, aber akut vom Aussterben bedroht?

Zwei elementare Geräusche sind mittlerweile „angezählt“: Zum einen das Rascheln und Klimpern von Bargeld. Der Trend zum digitalen Bezahlen wird noch deutlich stärker werden. Zum anderen das Geräusch von Verbrennungsmotoren. Hier stehen wir gerade ganz am Anfang einer technologischen und damit auch verbundenen akustischen Umwälzung. Vor kurzem sind an einer Kreuzung drei Elektroautos fast lautlos an mir vorbeigefahren. Das hat sich schon ein bisschen nach Science-Fiction angefühlt.


geb.1960-69.de:
Gibt es ausgestorbene Geräusche aus den 70er oder 80ern oder 90ern, die vielleicht in gleicher oder veränderter Form wiederkommen?

Jan Derksen: Da gibt es bestimmt einige. Mal abgesehen von etlichen TV Show Revivals und ihren Sounds (wie Der Prinz von Bel Air), ist zum Beispiel die Sofortbildkamera wieder recht erfolgreich zurückgekehrt. Sie klingt fast wie damals – vielleicht nicht ganz so „satt“, weil die Bauweise heute etwas leichter ist. Als wir etwa 2015 das Geräusch einer alten Sofortbildkamera aufgenommen haben, hätten wir nicht mit so einem Comeback gerechnet.

Welche Sounds aus dieser Zeit kennt heute praktisch kein jüngerer Mensch mehr?

Ich behaupte, ein 12-jähriges Kind könnte 95 % der Sounds auf unserer Seite nicht zuordnen. Denkt nur an das Ausfalten und "entnervte" Zusammenknüllen eines Falk-Stadtplans. Das wird vermutlich heute kein Kind mehr kennen.

Wie steht die jüngere Generation zu diesen "alten" Geräuschen? Spielen Eltern und Großeltern die Sounds ihrem Nachwuchs vor und lassen sie raten, was es ist, oder beschäftigen sich jüngere Menschen von sich aus mit historischen Sounds?

Vermutlich ist es von Familie zu Familie unterschiedlich. Wir waren von 2014 bis 2019 gemeinsam mit der Stiftung ZuHören und der PwC-Kulturstiftung Initiator des deutschlandweiten Schulprojektes „Klang.Forscher!“. Schwerpunkt war das forschende Lernen im Themenfeld „Sound“. Kinder und Jugendliche haben in den Projekten großes Interesse gezeigt – auch für alte, verschwundene Geräusche. Wir bekommen Zuschriften von Geschichtsdozent*innen, dass die Vergangenheit für Jüngere durch Geräusche nahbarer wird. Wenn sie mit den eigenen Ohren den Unterschied zwischen den Sounds einer Telefonwählscheibe und dem fast lautlosen Wischen auf dem Smartphone hören, wirkt Geschichte nicht mehr so abstrakt und verstaubt.

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geb.1960-69.de: Wo bekommt Ihr die Original-Geräusche her? Habt Ihr selbst alte Musikabspielgeräte und vieles mehr?

Jan Derksen: Wir arbeiten mit Museen und Firmen, die zum Beispiel historische Geräte haben, zusammen. Zudem erhalten wir viele Zusendungen oder Uploads von Geräuschen, die private Soundfans aufnehmen. Und wir fragen herum und durchforsten weiterhin Keller und Dachböden von Freunden und Familienangehörigen.

Gibt es regionale Unterschiede bei "Retro-Geräuschen"? Zum Beispiel spezielle Sounds des Ruhrgebiets, aus Bayern, Norddeutschland oder aus der ehemaligen DDR?

Diesen Fragen würden wir auch gerne näher nachgehen. Wir sind aber noch nicht dazu gekommen. Wir würden sogar noch einen Schritt weiter gehen und gerne weltweite Sounds miteinander vergleichen. Klangen Schreibmaschinen in Japan genauso wie in Deutschland und Brasilien? Prinzipiell hat natürlich jede Region ganz spezielle „Sound-Marker“, auch aus früheren Zeiten. In ehemaligen Bergbauregionen wie dem Ruhrgebiet kann es zum Beispiel das Rattern der Fördertürme sein. Im Osten Deutschlands zählt vielleicht das früher sehr häufig zu hörende Zweitakt-Motorengeräusch des Trabants dazu.

Welches ist Euer persönlicher Geräusch-Favorit aus den Siebziger und Achtziger Jahren?

Etwas Zeitloses – das Rascheln von Blättern im Wind. Es wird uns hoffentlich noch sehr lange erhalten bleiben.

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Das Interview mit Jan Derksen von Conserve the Sound führte Klaus Schneider von geb.1960-69.de am 18. März 2021, "corona-konform" per E-Mail. Vielen Dank an Conserve the Sound für die Infos und den Erhalt der Geräusche!

Veröffentlicht am 23. März 2021 von geb.1960-69.de

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