Als ich ein Polyesterhemd nur leicht berührte, bekam ich einen kleinen, aber heftigen Stromschlag und es knisterte. Besonders an dieses Geräusch konnte ich mich noch sehr gut aus meiner Kindheit erinnern. Damals in den 70er Jahren war es beim An- und Ausziehen fast ein ständiger Begleiter. Es waren die Jahre, in denen Kleidungsstücke aus Polyesterstoffen ihren endgültigen Siegeszug antraten. Sie waren auch leicht zu pflegen. Nach dem Waschen trockneten sie schnell und man brauchte sie nicht zu bügeln. Zudem waren Hemden wie die Hawaiihemden für Herren, Damenblusen oder Blazer oft leuchtend bunt und damit genau auf Höhe des damaligen Zeitgeschmacks.
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In Kleidung aus Polyester schwitzte man sehr schnell und stark. Und waren sie trocken, so luden sie sich besonders bei trocknem Wetter derartig mit statischer Energie auf, dass einem manchmal buchstäblich die Haare zu Berge standen. Peinlich waren Situationen, in denen man einer fremden Person höflich die Hand geben wollte. Kurz, bevor man die Hand ergriff, sprang ein kleiner Funke über. Es knisterte und beide zuckten reflexartig zurück, als ob man es sich im letzten Moment mit dem Händeschütteln doch noch anders überlegt hätte. Noch peinlicher und oft gar nicht mehr knisternd spannend war es, wenn der oder die Angebetete kurz vor dem ersten Kuss mit einem elektrostatischen Stromschlag "gewarnt" wurde.
Es kamen natürlichere und viel hautfreundlichere Stoffe in Mode. Ich erinnere mich, dass viele Menschen in dieser Zeit sehr froh darüber waren, die schnell durchgeschwitzten Polyesterhemden ausmustern zu können. Doch man kann durchaus den Eindruck bekommen, dass die Modeindustrie nach einer Möglichkeit suchte, diese recht billigen Stoffe wieder erneut an die Verbraucher zu bringen. Interessanterweise brachte ausgerechnet eine Branche die Lösung, in der man sich intensiv mit Körperschweiß auseinandersetzen muss – die Sportbekleidungs- und Outdoorbranche. Das heutige Zauberwort, das der Modeindustrie die Wiedereinführung der Synthetikstoffe an die Körper der Käufer ermöglichte, lautet Funktionskleidung.
Bei der Sportfunktionsbekleidung geht es darum, dass eine Stofffaser sich möglichst nicht mit Flüssigkeit vollsaugt, sondern diese möglichst schnell verdunstet, um schnell wieder zu trocknen. Kunstfasern eignen sich dafür tatsächlich am Besten. So wurde quasi der Bock zum Gärtner und fand auf breiter Front eine neue Anwendung. Dank einiger Weiterentwicklungen wurde das Hautgefühl der Materialien mittlerweile deutlich verbessert. Heute sind viele Kleidungsstücke für schwere körperliche Arbeit, Sport oder Wanderung kaum noch ohne diese Materialien denkbar, abgesehen von besonders nachhaltiger und tragekomfortabler Naturwollkleidung.
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Wer schon einmal einen eher übergewichtigen Freizeitsportler in einem Wurstpellen-Radlertrikot auf einem Rennrad gesehen hat, fühlt sich vielleicht auch an die knallbunte Blumenmusterzeit der Siebziger erinnert und fragt sich, warum dieser Mensch unbedingt ein so deutlich erkennbares Statement setzen muss. Aber auch die statische Aufladung ist geblieben. Fast schon unterhaltsam, was für einen Klumpen Funktionskleidung durch Statik bilden kann, wenn beispielsweise eine einzelne verirrte Fleecejacke in den Wäschetrockner gelangt und die restliche Kleidung mit statischer Energie zusammenklebt. Pullover oder Jacken aus Fleece, diese Wunderwerke des PET-Flaschen-Recycling, sind auch meine Empfehlung für alle, die noch nicht das erwähnte Feuerwerk erlebt haben. Einfach mal die Fleecejacke an einem trocknen Tag im Dunklen über den Kopf ziehen, sich das Feuerwerk anschauen und dem Knistern lauschen. Pure Nostalgie!
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