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Die Jugend feiern, das Alter zelebrieren,
Wünsche erfüllen!

Jeder nur eine Torte

Das war nichts für Kalorienzähler. Wenn sich meine Mutter und ihre Geschwister in den 1970/80er Jahren mit ihren Familien zum Kaffeeklatsch trafen, gab es selbstgebackene Torten und Kuchen bis zum Abwinken.

Die Tortenschlacht für Oma, Opa, Onkel, Tanten, Schwestern, Brüder, Nichten, Neffen, Cousins und Kusinen fand nicht etwa am Buffet statt, was man in so großer Runde vermuten könnte. Nein, sie wurde selbstverständlich an der - mit weißer Tischdecke, dem besten Kaffee-Service und Silberbesteck, Tischbändern, feinen Servietten und farblich passenden Kerzen eingedeckten - großen Kaffeetafel zelebriert.

Die Tischdekoration musste stimmen

Die Servietten wurden stets besonders gefaltet. Jede Frau des Hauses hatte, je nach Jahreszeit, so ihren Stil. Schließlich waren Kaffeeklatsch, Kuchen backen und Tisch-Deko eine Domäne der Frau. Manche drapierten die bunten Servietten für den Sommer-Kaffeeklatsch zwischen den drei Zinken der Kuchengabel. Diese hatte dann, so auf den Teller gelegt, etwas von einem bunten Schmetterling. In der Winterausgabe eines Kaffeeklatsches oder in der Advents- und Weihnachtszeit wurde das anders gehalten. Die Servietten waren eher schlicht. In dieser Zeit prägten Tischbänder mit winterlichen oder weihnachtlichen Motiven (selbst gestickt) sowie Kerzen die Dekoration der Kaffeetafel.

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Die eigentlichen Attraktionen waren selbverständlich die selbstgebackenen Torten und Kuchen, die die Kaffeetafel perfekt schmückten. Nun könnte man glauben, dass zwischen den Bäckerinnen ein Wettbewerb entfacht war, wer wohl den "besten Kuchen" kreierte. Dem war nicht so, schließlich gab es noch keine Backwettbewerbe im TV. Aus dem geschwisterlichen, blinden Verständnis heraus herrschte offenbar Einigkeit darüber, dass sich so jede auf ihre Stärken besinnen sollte bzw. konnte: Amüsant war somit, dass eine Kaffeetafel mit (fast) den immergleichen Torten und Kuchen enstand ("Und täglich grüßt das Murmeltier"):

Die Klassiker der Tortenschlacht

Frankurter Kranz, Himmelstorte, gedeckter Apfelkuchen, Schokosahne-Torte, Schwarzwälderkirschtorte, Schoko-Nuss-Torte mit Eierlikör-Glasur und Verzierung mit kandierten Kirschen, Stachelbeer-Baiser-Joghurt-Torte auf Mandelboden, sowie einen Obstboden mit - im Sommer immer - dicken Erdbeeren auf feiner Pudding-Schicht. Im Herbst: Ein Pflaumenkuchen auf Hefeteig vom Blech. Im Winter: Einen sog. Rosenkuchen mit Marzipan-Walnuss-Apfel-Füllung sowie selbstgemachtes Weihnachtsgebäck (Zimtsterne, Printen, Vanillekipferl, Spritzgebäck, Spekulatius). Aber, bitte mit Sahne! Zu einigen Kuchen wurde natürlich reichlich Schlagsahne in mindestens zwei Schalen seviert.

Am Tag der Tage standen somit die Mütter und backten und fluchten, was das Zeug hielt. Denn es ging nicht immer alles glatt. Sicherlich ein Grund dafür, warum Sahnetorten hoch im Kurs waren. So ließen sich Fehler durch das gleichmäßige Auftragen von Sahne gut kaschieren. Neben der ordentlichen Höhe, die die Torten selbst schon hatten, wurden manche hervorgehoben, indem sie auf einer Tortenplatte mit Fuß angerichtet waren. Bei aller Unterschiedlichkeit der Torten und der Art ihrer Zubereitung gab es allerdings stets eine Gemeinsamkeit: Die Torten und Kuchen wurden auf einer sog. Tortendecke aus Papier mit einem Rand aus Spitze serviert.

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Der gute Bohnenkaffee

Doch, neben Kuchen und Torten sowie attraktiver Tischdekoration wurde selbstverständlich in unserer Elterngeneration besonders wertgeschätzt: Der gute Bohnenkaffee, frisch von Hand im Porzellan-Filterhalter aufgebrüht und in Kaffekannen aus Porzellan mit Tropfschwamm unterhalb des Ausgusses serviert. So wurde Kaffee richtig serviert. Kaffeemaschinen mit oder ohne Thermoskanne waren verpönt.

Daher gehörte zu den üblichen Mitbringseln der Verwandtschaft - neben Blumen für die Tafel - stets auch ein Pfund Kaffee sowie eine Flasche Cognac bzw. Weinbrand. Der gesammelte Mitbringsel-Kaffee reichte der Gastgeberin dann meist bis zu ihrem nächsten Kaffeeklatsch. Den Weinbrand gab es, je nach Vorliebe, gleich als Schuss in den Kaffee, in einen Schwenker dazu oder als Digestif nach dem Sahnekuchen.

Der (fast) perfekte Kaffeklatsch

Wenn man nun als Kind oder junger Jugendlicher (bis etwa 15 Jahre) glaubte: "So, jetzt geht es los. Wo sitze ich?", dann war man schief gewickelt. "Ab in die Küche, an den Kindertisch," hieß es dann. Dort konnten die Kinder nicht so viel "kaputtmachen".

Es interessierte keinen der Erwachsenen (außer der Dame des Hauses), wenn es dem schon etwas tüdeligen Großvater gelungen war, die von seinem Stück Schwarzwälderkirschtorte heruntergefallene "Zierkirsche" unter seiner Kaffeeuntertasse zu verstecken und so richtig schön in die weiße Tischdecke einzumassieren. Diese "Massagen" der Tischdecke erfolgten durch einen seltsamen Tick, der oft zu beobachten war, automatisch: Die Erwachsenen fummelten ständig mit ihrem Besteck und der Serviette herum. Sie drehten das Weinbrandglas und hielten auch ihre Teller und Untertassen dauernd in in Bewegung. Alles wurde immer wieder verrückt bzw. zurechtgerückt.

Woran das wohl lag? Wahrscheinlich langweilten sie sich. Immer wieder die gleichen Geschichten und Gespräche an gefühlt unzähligen Kuchenschlachten dieser Art im Laufe eines Jahres. Es war sehr gut, dass wir Kinder unseren eigenen Tisch, unsere eigene Kuchenschlacht hatten. Die hielten wir kurz und knackig, damit wir danach spielen konnten, was wir wollten.

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Veröffentlicht am 11. Januar 2022 von geb.1960-69.de

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