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Eine Palette “Schädelbier“ oder Traditionspils?

In den 1980er war Dosenbier von Karlsquell oder Hansa-Pils fast ein Statement – von Punks und anderen Nonkonformisten. Heute füllt nahezu jede mittelständische oder große Brauerei ihr Bier auch in Dosen ab.

Sogar einige Craft Beer Experten schwören darauf. Viele meinen, dass die Aromen in der Dose besonders gut erhalten bleiben. Umweltmäßig ist das Ganze zu Recht umstritten. Die Herstellung der Blechdosen ist sehr energieintensiv. Aber dafür sind Transportgewicht und -volumen geringer als bei Glasflaschen. Und immerhin gibt es ja seit 2006 das Dosenpfand, sodass die Recyclingquote der Getränkedosen hoffentlich recht hoch ist. Zu verdanken haben wir das Pfandsystem unter anderen Jürgen Trittin, von 1998 bis 2005 Umweltminister. Von dieser Ära beamen wir uns jetzt aber nochmal ein Vierteljahrhundert zurück.

Zurück in die Zukunft des Dosenbiers

Was der engagierte Trittin in den 1980er Jahren bei Gründungstreffen der Grünen trank und woraus, wissen wir nicht. Was wir als damalige Landjugend oder als Möchtegern-Rocker tranken, das wissen wir aber noch. Eine Kartonpalette mit Karlsquell oder Hansa-Pils Dosen durfte auf keiner Party fehlen. Auch und besonders bei den gleichaltrigen Dorfpunks.

Viele waren auch damals umweltbewegt

Beim Biereinkauf trat dieser Aspekt aber wegen des klammen Schüler-Portemonnaies leider oft in den Hintergrund. So erinnern sich viele Teens der 1980er Jahre an das erste Bier, genossen aus (damals noch Einweg-)Dosen. Meist waren es 0,33 Liter-Bierdosen statt der heute dominierenden 0,5 Liter-Dosen. Die Palette mit 24 Dosen, also 8 Litern Bier, kostete rund 12 D-Mark. Diese sagenhaften Preise schaffen heute nur Oettinger oder vielleicht Paderborner Pilsener im Angebot (5 bis 6 Euro der Kasten).

Ist Karlsquell Kulturgut?

Das sogar vom SPIEGEL gewürdigte Karlsquell wurde von den heute noch aktiven Hamburger Punk-Ikonen der Band Slime musikalisch verewigt – im Song „Karlsquell“. Ein Zeitzeuge, der Teil der Hamburger Punkbewegung Anfang der 1980er Jahre war, erinnert sich an ein legendäres Slime-Konzert in einem Club im feinen Hamburger Norden: Der Besitzer nahm 15 D-Mark Eintritt. Das war für damalige Verhältnisse und insbesondere für ein Punkkonzert horrend viel. Die Band musste das hinnehmen, wollte ihre verärgerten Fans aber versöhnen: Über den Bühneneingang wurden mehrere Palette Karlsquell Dosenbier hineingeschmuggelt. Als Slime die Pogo tanzende Menge mit dem Song "Karlsquell" beglückte, wurden die Bierdosen von der Bühne ins Publikum befördert. Slime durfte in dem Club nie wieder auftreten. Aber die Fans waren zufrieden.


Karlsquell hatte nicht nur für Punks, auch für uns "Normalos" einen praktischen Vorteil

Wir konnten die Karlsquell-Dosen auf dem Fahrradgepäckträger oder im Rucksack leicht und sicher transportieren. Wenn die Party allzu sehr ausuferte, lagen am Morgen danach auch keine Scherben auf der Straße. Das beliebte Billigbier der Aldi-Marke Karlsquell schmeckte uns, zumindest in der Erinnerung, gar nicht so schlecht.

Karlsquell Dosenbier verursachte bei übertriebenem Genuss keinen schlimmeren Kater als die aufkommenden Premium Pilsener

Ein paar Flaschen Premiumbier wie Warsteiner oder Veltins entwendeten wir ab und zu aus dem elterlichen Keller. Karlsquell Dosenbier hatte die Premium-Bezeichnung nicht nötig, sondern schmückte sich mit dem Beinamen „Edel-Pils“. Es wurde im genussfreudigen Saarland oder im Bierland Belgien gebraut – von der Karlsberg Brauerei in Homburg/Saar oder der Brauerei Martens in Belgisch-Limburg. Beide Brauereien sind im Bier-Deutschland von heute mit anderen Eigen- und Fremdmarken erfolgreich. In Belgien, Luxemburg oder Polen soll es übrigens noch Karlsquell Dosenbier zu kaufen geben.


Und das Hansa-Pils Dosenbier?

Mit dem Hansa-Pils, von einigen auch "Hansa-Plast" genannt, tranken viele damalige Jugendliche ebenfalls eine gute Hopfenkaltschale aus der Bierdose. Die Hansa-Pils Brauerei hat auch eine jahrhundertealte Tradition. Eduard Habich gründete 1885 die Borussia Brauerei in Dortmund. Die wurde wenige Jahre später zur Hansa-Brauerei Aktiengesellschaft. Die Hansa-Brauerei wechselte später den Besitzer. Sie gehört heute als GmbH zur Radeberger Gruppe, blieb aber ihrer Tradition treu. In den 80ern avancierte Hansa-Pils neben Karlsquell zum Lieblingsbier der Punks. Wohl (und hoffentlich) nicht aufgrund einer perfiden Marketingstrategie, sondern wegen des günstigen Preises.

"Daily Terror" posierte auf dem Cover von "Schmutzige Zeiten" mit einer Dose Hansa-Pils

Das Foto eines Bandmitgliedes der Braunschweiger Punkband Daily Terror soll laut unseres Zeitzeugen die Bandmitglieder von Slime dazu bewogen haben, erst recht Karlsquell statt Hansa-Pils zu trinken. Die Hamburger Slime-Musiker wollten keine Dose "Daily Terror-Bier" öffnen, weil es eine gepflegte Rivalität zwischen den beiden Punkgruppen gab.

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Dosenbier war auf jeden Fall etwas anderes als die gepflegte Flasche Bier, die Vati zum Feierabend trank. Die Bierbüchsen wurden zu einem von vielen Symbolen, um sich abzugrenzen vom leistungsorientierten, oft angepassten Leben, das die Eltern führten – und das sie meist auch von ihrem Nachwuchs erwarteten.

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Noch heute gibt es Hansa-Pils in Dosen – und in umweltfreundlichen Pfandflaschen

Wer einmal in Dortmund vorbeikommt, sollte sich nicht nur das Deutsche Fußballmuseum und das schwarz-gelbe BVB-Museum ansehen. Sondern auch das Dortmunder Brauereimuseum in der ehemaligen Hansa-Brauerei in der Steigerstraße 16. Die alten Punk- und Spießermuster werden hier nicht unbedingt thematisiert. Aber Biernostalgiker erfahren mehr über das gute alte Hansa-Pils und viele weitere Hopfen- und Malzgetränke aus der Biermetropole Dortmund. Es ist eine kleine Ironie der (Bier-)Geschichte, dass "Punker" ausgerechnet das Hansa-Pils aus der traditionsreichen Arbeiterstadt liebten, weil viele Punks doch herkömmliche Arbeit ablehnten. Glück auf und Prost!

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Veröffentlicht am 07. September 2020 von geb.1960-69.de

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