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Oft hießen sie „Die Schallplatte“, „Die Schallplatte am XY-Platz“, „Günthers, Hottes, Inges oder Uschis Plattenkiste“, „Musikbox“ oder einfach (XYs) „Plattenladen“. Es gab Megageschäfte wie den legendären, mehrstöckigen Saturn in Köln – aber vor allem kleine, oft inhabergeführte Läden. Die Betreiber waren häufig Musikfreaks, die Kunden intensiv beraten konnten oder bei der Suche nach musikalischen Raritäten behilflich waren. In der Regel waren die kostbaren LPs, Maxis und Singles nach Genre und Alphabet sortiert.
Zum Beispiel suchten sie ihre Lieblings-Indie-Band unter „S Diverse“, um dann die gewünschte Scheibe für 14,80 DM mit nach Hause zu nehmen. Die richtigen Fans konsumierten die Musik nicht einfach. Sie hörten ihre Lieblingsplatten bewusst und studierten das Text-Booklet. Das empfindliche Vinyl wurde liebevoll gepflegt. Wer damals jung war, erinnert sich an das leichte Knistern, wenn die neue Schallplatte behutsam aus dem Innencover genommen wurde. Dessen Innenhaut schützte die wertvolle Platte vor Kratzern. Die wären beim Musikgenuss sofort zu hören. Die schiere Größe einer Langspielplatte begünstigte die kreative, kunstvolle Gestaltung der LP-Hüllen. Viele Plattencover avancierten selbst zu Sammlerstücken.
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Während sich die damaligen Technik-Nerds zwischen CB-Funk, Fischer Technik und Elektrobaukasten entscheiden mussten, waren die Plattenfreaks eine andere Spezies. Sie konnten stundenlang über die Aufnahme eines Songs ihrer Band auf dem Album XY diskutieren. Fans studierten den Rolling Stone und andere Musikmagazine. Wer einer speziellen Musik anhing, las oft die in Mini-Auflagen hergestellten Fanzines. In denen gaben Insider Plattentipps, erörterten Trends und kommentierten Neuerscheinungen. Mancher Fan schuf in Handarbeit „Sampler“ seiner Lieblingslieder von verschiedenen Interpreten. Dies geschah, indem er sie von der LP (leider mit Qualitätsverlusten) auf Musikkassette überspielte. Handgeschriebene Songlisten durften nicht fehlen, um zum Beispiel die Angebetete mit einer einmaligen Music Compilation zu begeistern.
Nick Hornby hat dem Klischee des weltfremden, liebenswerten Plattenfans mit seinem 1995 erschienenen Roman „High Fidelity“ ein literarisches Denkmal gesetzt. So wie sein Romanheld Fleming mit seinem Team über die besten und schlechtesten Songs aller Zeiten fachsimpelt, schob Musikfan Hornby ein persönliches „Best of“ hinterher. In „31 Songs“ stellt er Meilensteine und Raritäten moderner Rock-, Pop- und Singer/Songwriter-Musik vor. Das gelingt dem britischen Autor auf so unterhaltsame Weise, dass es auch für Nicht-Plattenfans absolut lesenswert ist!
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Das Ambiente der Plattenläden litt darunter natürlich. Denn die Kunststoffhüllen der CDs waren deutlich kleiner als ein LP-Cover. Zudem klapperten sie beim „Durchblättern“ der Regalfächer. Der Wandel war aber kaum aufzuhalten – vom Liebhaber-Ambiente eines Plattenladens, in dem Eingeweihte wie in einer guten, kleinen Buchhandlung stöbern, hin zum Charme von Elektronikmärkten. Im neuen Jahrtausend erschienen Songs überwiegend im MP3-Format auf iPod, Computer, Tablet. Als sie wenig später auch auf dem Smartphone fast unbegrenzt zur Verfügung standen, ging es leider mit vielen Plattenläden endgültig zu Ende.
In den Szenevierteln einiger großen Städte entstanden sogar neue Plattenläden. Die wenigen, die die Digitalisierung überlebt hatten, blühten wieder auf. Viele DJs, aber auch Sammler und Intensiv-Fans verschiedener Musikrichtungen schwören auf die analogen Tonträger. Manche Schallplattenkäufer aus den 70er sind heute nicht nur in die Jahre, sondern auch zu Geld gekommen. Für den optimalen Sound investieren sie nicht selten in High End-Plattenspieler von Technics, Thorens oder der wiederbelebten Kultmarke Dual.
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